…hier bin ich – hier darf ich sein…

magkaenslaAllgemein

Kennen Sie das: Sie sitzen im Kino und mit Ihnen noch weitere 5 Menschen gut verteilt in einem großen Saal. Nun betritt ein Pärchen den Kinosaal und macht sich auf die Suche nach einem passenden Sitzplatz. Bei einem fast leeren Saal ist die Auswahl groß und die Wahl des richtigen Sitzplatzes darf wohl überlegt sein. Das Pärchen hat nun eine Entscheidung getroffen und wählt die Reihe vor ihnen und nimmt direkt vor ihnen Platz – in einer Reihe, in der alle Plätze frei sind. Hier bin ich – hier darf ich sein! Sie stehen auf und suchen sich einen Platz mit freiem Blick.

Diese Situationen finden sich häufig im Alltag. Ein weiteres Beispiel: Sie steigen aus einem gut gefüllten Zug aus, mit Ihnen noch viele andere und gleichzeitig warten schon Menschen vor der Tür, die einsteigen möchte. Allerdings müssen Sie erst einmal austeigen können, bevor Andere einsteigen können. Sie signalisieren den Einsteigenden mit einem Blick, dass Sie erst aussteigen müssen, bevor sie einsteigen können. Der Gegenblick ist oft ein erstaunter, verdaddeter, aggressiver oder mit Unverständnis getränkter Ausdruck. Dieser ist vielseitig in der Interpretation. Entweder: „Was machen SIE hier, wenn ICH einsteigen will“ oder: „ICH bin hier – hier darf ICH sein – ICH will rein“.

Was ist das für ein Verhalten?

Sind diese Menschen zu kurz gekommen – im Sinne von übersehen worden – und meine jetzt sind sie mal dran? Ist das ein Ausdruck von „jetzt bin ICH mal dran“, „ich hab mich gerade gefunden – ich weiß jetzt was ich will“, „ICH bin frei“, „hier gehe ICH– ICH muss hier durch“ oder „das habe ICH mir verdient“?

Und das in einer Zeit, in der Achtsamkeitskurse jeglicher Art Hochkonjunktur haben. Sei es, dass es in der Arbeit angeboten wird und/oder im Selbststudium gebucht wird, um gelassener, ruhiger, effektiver, frischer, agiler, energievoller, fokussierter das Leben zu bestreiten und im Idealfall – sozusagen als Bonus- erleuchtet zu werden. Die Liste der Wörter, die den versprochenen Zustand positiv besetzen, lässt sich weiter so fortführen. Die Sehnsucht nach einem gelasseneren Umgang mit dem Leben ist groß. Ebenso die Sehnsucht, bei achtsamer Mediation, Atmung oder Yoga das Leben, den Job, die Karriere und das ICH im Griff zu haben. Es wird vermittelt, dass man sein ICH dadurch reinigen und optimieren kann. Der Schritt zum Glücklichsein rückt näher. Und wer will nicht glücklich und erfolgreich sein? Es werden viele dieser Achtsamkeitskurse besucht, um noch effektiver, freundlicher oder gelassener in der Arbeitswelt und im privaten Bereich zu bestehen, um sich dort mit dem neu erworbenen Selbst besser und glücklicher zu positionieren. Als ob man eine Karriere des „erfolgreichen Selbst oder Ich“ bestreitet. Wenn ich noch die eine Meditation/Übung regelmäßig mache, dann aber … (Wenn-dann-Prinzip)! Da ist Leistung gefordert. Der Fokus wird auf das Positive gesetzt und heißt es einfach mal achtsam sein und dann läuft es schon. Der Druck zum glücklich sein steigt!

Meditieren per se ist fein und viele Studien belegen auch, dass sich der Geist beruhigt, verändert und es sich auch auf den Körper wohlwollend auswirkt. Es ist jedoch eine Herausforderung sich regelmäßig Zeit zu nehmen, zu meditieren, das was kommt aushalten zu können, dabei zu bleiben und einen wertschätzenden Umgang mit sich zu erlangen. Wenn Meditieren, Yoga oder Atmen zur ICH-opti-mierung angewendet wird, dann wird vorausgesetzt, dass Sie besser funktionieren werden und meditieren jedoch an Ihrem Ich vorbei. Das Ergebnis ist dann, dass ich nun bewusster im Weg stehe, weil ICH bin jetzt hier. Eine aggressive Toleranz macht sich breit unter der Verpackung der Achtsamkeit. Kalendersprüche wie „be different“, „Trau Dich anders zu sein“, „einfach mal achtsam sein“ oder „It´s ok to be a little different“ verstärken die neue gelassene vermeintliche Toleranz. Sie ist versteckt, subtil und doch spürbar. Es hinterlässt den Eindruck, dass es ein wegmeditieren der unangenehmen Gefühle ist. Somit ist oder hat der andere das Problem. Weil: ICH weiß es ja jetzt, ich habe meditiert und kann unter Umständen den anderen aufklären der noch nicht soweit ist! Einfach mal achtsam sein!

Die Frage stellt sich, wieviel darf der Andere anders sein, mit dem neu gewonnenen Blick der Achtsamkeit?